Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob sich noch Worte finden lassen, kurz nachdem es einem die Stimme vor Entsetzen verschlagen hat. Auf die Weise wie Götz Aly in der Berliner Zeitung oder Martin Otto in der FAZ Otto Friedrich van der Gröben´s Verstrickungen in deutsche Kolonialgeschichte bagatellisieren und im gleichen Atemzug die Historikerin und Lyrikerin May Ayim, nach der das Gröbenufer in Berlin-Kreuzberg nunmehr benannt werden wird, diskreditieren, lässt sich mit einem Gedicht May Ayims beantworten…
deutschland im herbst
es ist nicht wahr
daß es nicht wahr ist
so war es
erst zuerst dann wieder
so ist es
kristallnacht:
im november 1938
zerklirrten zuerst
fensterscheiben
dann
wieder und wieder
menschenknochen
von juden und schwarzen und
kranken und schwachen von
sinti und roma und
polen und lesben und
schwulen von und von
und von und von
und und
erst einige dann viele
immer mehr:
die hand erhoben und mitgemacht
beifall geklatscht
oder heimlich gegafft
wie die
und die
und der und der
und der und die
erst hin und wieder
dann wieder und wieder
schon wieder?
ein einzelfall:
im november 1990 wurde
antonio amadeo aus angola
in eberswalde
von neonazis
erschlagen
sein kind kurze zeit später von einer
weißen deutschen frau
geboren
ihr haus
bald darauf
zertrümmert
ach ja
und die polizei
war so spät da
daß es zu spät war
und die zeitungen waren mit worten
so sparsam
daß es schweigen gleichkam
und im fernsehen kein bild
zu dem mordfall
zu dem vorfall kein kommentar:
im neuvereinten deutschland
das sich so gerne
viel zu gerne wiedervereinigt nennt
dort haben
in diesem und jenem ort
zuerst häuser
dann menschen
gebrannt
erst im osten dann im westen
dann im ganzen land
erst zuerst dann wieder
es ist nicht wahr
daß es nicht wahr ist
so war es
so ist es:
deutschland im herbst
mir graut vor dem winter
Wer letztes Wochenende in Dresden war, weiß, dass es noch immer so ist und May Ayim in Anbetracht derer, denen in den Mehrheitsmedien Raum für ideologische Schmachartikel zugestanden wird, Recht behalten hat.
Daher lohnt es mitten im Winter ein Zeichen zu setzen: am 27. Februar 2010 findet das große Finale der mehrmonatigen Gedenkkampagne zu „125 Jahre Berliner Afrikakonferenz“ statt.
Der Abschluss der Kampagne beginnt um 11Uhr mit einem Festakt zur Umbenennung des Berlin-Kreuzberger „Gröbenufers“ in „May-Ayim-Ufer“.
Ab 13 Uhr beginnt der Gedenkmarsch für die afrikanischen Opfer von Sklavenhandel, Sklaverei, Kolonialismus und rassistischer Gewalt statt.
Wo? Berlin-Kreuzberg/Friedrichshain, Zirkus Cabuwazi, Gröbenufer/May-Ayim-Ufer 2
Wann? Samstag 27. Februar 2010, 11Uhr
Zum Weiterlesen:
Susan Arndts Leserinnenbrief
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